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Lothringen aus dem Banat, eine spannende Migrationsgeschichte

Lothringen aus dem Banat
Die spannende Migrationsgeschichte der im 18. Jh. aus Lothringen, dem Elsass und Luxemburg ins Banat ausgewanderten Siedler und ihrer Nachkommen war das Thema der Tagung vom 13. – 14. April 2023 im Schloss zu Luneville in Lothringen.

Dieser Bericht kann als Anregung zur Spurensuche oder Begründung der auch in unserem Heimatdorf Grabatz reichlich vorkommenden französischen Familiennamen dienen. Viele uns vertraute, deutsch anmutende Familiennamen sind durch Verballhornung, Eindeutschung oder einfache Rechtschreibfehler im Laufe der Zeit entstanden.

Keinesfalls sollen wir nun plötzlich zu Franzosen werden!
Wir sind und bleiben: SCHWABENKINDER

Bereits im ersten Grabatzer Heimatbuch wird vermerkt, dass rund 40% der Siedler aus Lothringen, dem Elsass und Luxemburg kamen.

Bei der Tagung in Luneville ging es um die „Franzosendörfer“ am Beispiel Triebswetter, wo der französische Anteil der Siedler wesentlich höher lag.Lothringen 01
Daniel Hilaire, der Präsident der l’Assocition des Lorrains du Banat, begrüßte die zahlreich erschienen Teilnehmer der gelungenen Tagung. Dieser gut besuchten Veranstaltung mit ca. 200 Personen ging eine fast vierjährige Vorlaufzeit mit Planung und letztlich konkreter Vorbereitung voraus. Die französischen Gastgeber haben sich wahrlich großartig präsentiert!

Merci pour l’invitation!

Die größte Teilnehmergruppe bildete die aus dem „Franzosendorf“ Triebswetter stammenden Besucher mit ihrem HOG-Vorsitzenden Werner Wolf und dem Ehrenvorsitzenden Dr. Walter Wolf.
Die Landsmannschaft der Banater Schwaben war durch ihren Vorsitzenden Peter-Dietmar Leber vertreten.Lothringen 02
Beherbergt wurde die Begegnung von Spurensuchenden und Historikern aus Frankreich, Deutschland, Österreich, USA, Schweiz, Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien in der Kapelle des Schlosses in Luneville, einem Meisterwerk der Architektur des 18. Jahrhunderts, auch als „lothringisches Versailles“ bekannt.Lothringen 03
Stanislaus I. König von Polen und Großfürst von Litauen (1677- 1766)

Gemäß des Friedens von Wien aus dem Jahre 1738 sollte das Herzogtum Lothringen nach dem Tode seines Herrschers Stanislaus I. an Frankreich abgetreten werden. Dies trat 1766 ein, nachdem der Herzog an den Folgen eines Brandes in seinem Schlafzimmer verstorben war.

Mit dem Ende des ersten Koalitionskrieges zwischen Frankreich und Österreich und dem Frieden von Luneville vom 9. Februar 1801 ist die Stadt in die Geschichte eingegangen. Danach musste Deutschland seine linksrheinischen Gebiete endgültig an Frankreich abtreten.Lothringen 04
Das „lothringische Versailles“ in LunevilleLothringen 05
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Erste Kontakte werden geknüpft.

Allein die mehrsprachigen Vorträge und Wortmeldungen widerspiegelten die weltweite Zerstreuung der einstigen Aus-und Rückwanderer aus Lothringen sowie ihr Schicksal nach der Teilung des Banats nach dem Ersten Weltkrieg und den grausamen Folgen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Frau Helene Say, die Leiterin des „Archives de Departements Meuthe et Moselle“ präsentierte die Auswanderung aus Lothringen im 18. Jh. und die Rückwanderung im 20. Jh. unter Hans Lamesfeld auf Schautafeln und in einem ausführlichen Referat auf Französisch.Lothringen 07
Dem Blumentaler Hans Lamesfeld (1909-1981) gelang es, 1948 aus dem sowjetisch besetzten Österreich 10000 staatenlosen „französischen“ Banater Flüchtlingen eine Aufnahme in Frankreich zu ermöglichen. Dabei spielte „die Trachtenpuppe“ eine entscheidende Rolle: Hans Lamesfeld schickte dem damaligen französischen Ministerpräsidenten Robert Schumann zu Weihnachten 1947 eine Trachtenpuppe in deren Kleid er einen Brief versteckt hatte. Darin bat er den gebürtigen Lothringer Schumann um Hilfe zur Rückführung von französischen Banater Flüchtlingen nach Frankreich:
„Nach einer Abwesenheit von 200 Jahren wollen tausende Lothringer und Elsässer, gezwungen von schweren, erbarmungslosen Schicksalsschlägen, wieder aus ihrer Adoptivheimat in ihre Ursprungsheimat zurückkehren. Sie wollen Frankreich ihre Kraft und voll erwiesene Erfahrung zur Verfügung stellen.“Lothringen 08
Motiv-Postkarte mit Briefmarke und dem Tagesstempel der französischen Post Lorrains du Banat 14 & 15 Avril 2023 Luneville

Schumann nahm sich der Sache an und ab November 1948 zogen die ersten Staatenlosen bei Kehl über den Rhein. Viele fanden Arbeit in den Bergwerken in Lothringen, aber zahlreiche Familien zog es auch zur Wiederbelebung der fast entvölkerten Dörfer in der Provence in den Süden Frankreichs. Bekannt hierfür ist der Ort La Roque-sur- Pernes. Als Erinnerung an ihre Banater Herkunft ließen sie in der Kirche ein Triptychon nach dem bekannten Jägervorbild über ihre Rückwanderung anfertigen.Lothringen 09
Das 1960 von Marie Louis Lorin gemalte Triptychon zeigt das nach dem Krieg verwüstete Banat, die Reise und die Ankunft in La Roque-sur- Pernes. Über allem thront die Gottesmutter als Zeichen des vereinenden katholischen Glaubens.

Als Ehrengast war auch die Bewahrerin der Puppe, Frau Stella Giry aus Paris eingeladen. Sie ist die Enkelin des Blumentaler Hans Lamesfeld und dessen Frau, der Grabatzerin Elisabeth Sedlak. Der Zufall spielte nun Regie und es kam zu einer nicht geplanten, emotionalen Begegnung zwischen Frau Giry mit Grabater Wurzeln und den anwesenden Grabatzern Monika und Walter Schneider.Lothringen 10
Grabatzer Begegnung in Luneville mit Übergabe des Heimatblattes. Ein bewegender Augenblick: Frau Giry drückt das Grabatzer Heimatblatt fest an sich.

Leider hat keiner der Redner darauf hingewiesen, dass es auch noch andere Vertreter der Franzosen aus dem Banat gab, die sich um die Rückführung nach Frankreich bemühten. Sicherlich ist die Zahl der von Lamesfeld zurückgeführten nicht zu toppen, dennoch verdienen sie erwähnt zu werden oder wie Willi Wottreng am Ende seines Referats sagte, „Historiker werden sich künftig vielleicht vermehrt mit den vielen Farben und den inneren Verschiedenheiten beschäftigen, die sich da finden. Es gibt viel zu entdecken in der „reichen Geschichte der Armut.“Lothringen 11
Auch die in Bayern gestrandeten „Banater Franzosen“ waren hier nicht gerade willkommen und wollten in ihre Urheimat Frankreich weiterziehen. Stefan Frauenhoffer (vermutlich aus Ostern, auch einem der 1772 angesiedelten Franzosendörfer) war ermächtigt, sich im Namen des Comite des Alsaciens et Lorrains du Banat im Landkreis Regensburg-Straubing um die Rückführung seiner französischen Banater Landsleute nach Frankreich zu kümmern.Lothringen 12
Mit bewegenden Worten nahm der HOG-Leiter Werner Wolf die Zuhörer mit auf die gefährliche Flucht über die verschneite „grüne Grenze“ nach Jugoslawien gemeinsam mit seiner schwangeren Frau Lia. Welche Emotionen das erneute Durchleben auslöst, konnte man hautnah an den plötzlich unterdrückten Tränen und der stockenden Stimme des Erzählers wahrnehmen. Gefühle, die jene am besten verstehen, die auch ihre Grenzerfahrung erlebt oder gar vielleicht noch nicht verarbeitet haben.

Franz Balzer berichtete anhand eingeblendeter Ahnentafeln und Familiennamen über seine französische Abstammung. Dabei war bei so manchem französischen Gast ein wohlwollendes Staunen zu vernehmen: „Unsere Verwandten sind da!“

In seinem Referat über die „Franzosendörfer im Banat“ am Beispiel des Franzosendorfes Triebswetter ging Dr. Mathias Beer auf eine Besonderheit bei der Ansiedlung ein: Von den 200 angesiedelten Familien stammten 192 aus Lothringen und dem Elsass. Sie waren Franzosen, keine Schwaben und pflegten noch viele Jahre ihre französische Sprache. Beginnend von der Ansiedlung des Prädiums Triebswetter 1772 über das berühmte Treffil-Buch bis zum heutigen Wissensstand stellte Dr. Beer noch offene Fragen in den Vordergrund, z.B. über den in Temeswar gegründeten Verein der Nachkommen französischer Kolonisten im Banat.

Verwunderlich, dass Dr. Beer nicht auf die Verdienste des Temeswarer Anwalts Dr. jur. (Sorbonne) Emil Botis eingegangen ist. Dank der Bemühungen Botis anerkannte das Timis -Torontaler Gericht in seinem Urteil vom 4. August 1945 den Nachkommen der einstigen französischen Kolonisten den Status einer juristischen Person.Lothringen 13
Anwalt Botis setzte sich bis Ende der 60-ger für die Franzosen aus Triebswetter ein. Willi Junesch berichtete erstmals ausführlich über die Banater Franzosen 1968 in einem Artikel in der Temeswarer NBZ.Lothringen 14
MitgliedsausweisLothringen 15
Vortrag von Dr. Mathias Beer: Wir sind keine Schwaben, wir sind Franzosen.

Für Lothringen als Grenzregion mit wechselnden Landeszugehörigkeiten und Herrschaftsverhältnissen dürften Zweisprachigkeit und Mischehen mit Sicherheit keine unwesentliche Rolle gespielt haben, so dass die o.g. kategorische Aussage vielleicht doch etwas abgemildert zu formulieren wäre.

Nach einer stärkenden Mittagspause ging es im zweiten Teil um bedrückende Einzelschicksale der aus den im ehemals serbischen Teil gelegenen Franzosendörfer Charleville, Seultour und Saint Hubert.

Über ihre genealogische Abstammung und ihre gemeinsamen Wurzel aus den „ welschen“ Dörfern, der Überfahrt seiner Vorfahren nach Amerika, vom Zweiten Weltkrieg bis in die heutige Zeit berichtete Peter Mathieu sehr lebhaft und anschaulich in Englisch, während seine Verwandte Susanne Matje aus Linz über ihre Linie der Mathieu berichtete.Lothringen 16
Immer anwesend die berühmte „La poupee“.

Den im zweiten Teil der Tagung größtenteils in französischer Sprache - leider ohne Übersetzung - gehaltenen Referate und Wortmeldungen war dann letztlich doch nur noch schwer zu folgen.

Der Historiker, Publizist und Redakteur bei der Deutschen Welle Ernst Meinhardt streifte anhand seiner Familiengenealogie die Geschichte des Banats. Dabei tauchten viele uns auch heute noch bekannte Familiennamen auf.Lothringen 17
Temeswarer und Hatzfelder Wurzel – Publizist Ernst MeinhardtLothringen 18
Der Archäologe, Historiker und Buchautor, Vincent Hadot behandelte auf Französisch die Emigration im 17.und 18. Jh. aus Lothringen. Locker und unterhaltsam referierte er nicht nur über die innereuropäische Migration, sondern auch über die Auswanderung der Lothringer nach Amerika.Lothringen 19
Die Familie Remillon brachte gleich vier Cousins ans Rednerpult, um ihre weitverzweigte Familiengeschichte in dem Vortrag „Lorrains du Banat“ darzulegen. Sie werden bei der Rundfahrt am zweiten Tag Gastgeber in ihrem Dorf Marsal sein.

Der Züricher Journalist und Schriftsteller Willi Wottreng präsentierte seine Familiengeschichte „Ein Beitrag zur reichen Geschichte der Armut“ als Beispiel für neue Fragestellungen. Seine Jahrzehnte dauernden Recherchen spannten einen Bogen von der Herkunft seiner Vorfahren aus Lothringen, der Auswanderung in die „welschen“ Dörfer sowie dem heute in Serbien liegenden Kikinda, die Entwicklung seines Familiennamens und letztlich die Rückwanderung seines Großvaters in die Schweiz.

Überraschend entführte Wottreng seine Zuhörer plötzlich in die Welt der Jenische, die zu den ärmsten Schichten der Gesellschaft im Elsass und Lothringen gehörten und mit Sicherheit bei jeder Armutsauswanderung der letzten Jahrhunderte, besonders nach Amerika, dabei waren, aber bei der Auswanderung ins Banat unerwähnt blieben. Wottreng meint, seine Familie hätte ihren Ursprung bei jenen Jenischen, die sich als Banden links und rechts des Rheins in den Wäldern, Sümpfen und Bergtälern versteckten.Lothringen 20
Einer seiner Lothringer Verwandten wurde Direktor der Bohnschen Ziegeleiwerke in St. Hubert. Die einst größten Ziegeleien Süd-Osteuropas sind, wie vieles andere dort, leider nur noch Ruinen.

Viele solche kleine Geschichten zwischen den Gästen am Rande der Tagung waren letztlich das Besondere an dieser erstmaligen Veranstaltung zu diesem Thema. Neue Bekanntschaften wurden geknüpft, alte erneuert und Mailadressen ausgetauscht.

Diese Tagung sollte Anregung für Historiker sein, sich näher mit dieser reichen Geschichte dieser großen Migration, deren Auslöser auch heute noch Kriege und Armut sind, zu befassen.Lothringen 21
Am Ende der Tagung wurden die Teilnehmer zu einem Gruppenfoto auf die Bühne gebeten.

Der gebührende Abschluss des Tages fand bei einem gemeinsamen Abendessen in geselliger Runde statt.Lothringen 22
Am Freitagnachmittag ging es mit dem Bus auf eine familienbiographische Erkundungsreise durch 13 Orte in der Gegend um Luneville.

Es war eine Reise in die Vergangenheit, in jene kleinen Dörfer, aus denen 1772 Lothringer ins Banat ausgewandert sind.

Bereits bei der Anreise durch die Gegend fragten wir uns, stammen meine Vorfahren vielleicht aus diesem oder jenem Ort oder wie wäre es, noch Namensvetter oder gar weit Verwandte zu treffen?Lothringen 23
Kirche in Chateau-Salins; von hier sind auch viele ins Banat ausgewandert.

Es sind hauptsächlich kleine, wenige hundert Einwohner zählende Orte mit einer für uns besonderen Geschichte.

Über das nur 10 km entfernte Enville-au-Jard - der Schlossgarten von Luneville reichte unter Fürst Stanislaus I. bis hierher- führte die Rundreise weiter nach Bathelmont, Athienville, Bezange und Chambry mit seinem imposanten Kaiser-Bahnhof von 1870. Über Sallones, Vic-sur-Seille, Moyen-Vic, dt. Mettich, führte der Weg weiter nach Marsal, der Heimat der Familie Remillon. Die Rundreise führte dann über Dieuze, Guebling, dt. Geblingen und Arracourt wieder zurück nach Luneville.

Einige von den Ortsbewohnern organisierte Veranstaltungen sollen noch kurz erwähnt werden.

In Bathelemont wurden die Gäste von Bürgermeiser Francis Vivier vor dem Denkmal für die gefallenen amerikanischen Soldaten von 1917 beim Dorffriedhof begrüßt. Im Dorf stellte ein Trupp des Vereins der amerikanischen Soldaten eine Szene aus dem II. WK nach.Lothringen 24
Friedliche Begegnung mit „amerikanischen GI“

In Gemeindesaal von Arracourt fand eine freundschaftliche Begegnung mit den Dorfbewohnern statt.Lothringen 25
Die Bürgermeisterin von Arracourt, Michele Kirsch, präsentiert gemeinsam mit dem HOG-Vorsitzenden Werner Wolf eine Liste mit den Namen von 1770 ins Banat ausgewanderten Landsleuten.

Stellvertretend im Namen aller Teilnehmer ein Auszug des Mailverkehrs zwischen Denis Pierson, dem Begleiter und Übersetzer während der Rundfahrt und dem Ehrenvorsitzenden der HOG -Triebswetter, Dr. Walter Wolf.

Denis Pierson: „Zwei Tage lang verbrachten die Nachkommen der Lothringer aus dem Banat und ihre in Lothringen verbliebenen Cousins eine schöne Zeit miteinander.“

Dr. Wolf: „Wir bedanken uns herzlichst bei allen, die zur Organisation der Veranstaltung beigetragen haben sowie den vielen „Cousins“, die ihr Interesse an dem Schicksal ihrer Ausgewanderten gezeigt haben und an der Veranstaltung in Arracourt teilgenommen haben. Es war eine schöne Zeit mit ihnen, die viele neue Erkenntnisse ans Tageslicht gebracht hat.“

Merci beaucoup!
Walter Schneider, Stockstadt 18. April 2023

Bildbearbeitung & Internetumsetzung
Erwin Kleitsch 5. Mai 2023
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